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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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Osborn, Max: Ein Vierteljahrhundert deutscher Kunst
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Ein Vierteljahrhunderl deutscher Kunst.

ausgreifender Kulturpropaganda sein.
— Gerade in jenem Jahre 1897 führte das stür-
mische Verlangen, mit dem Schlendrian des
bisherigen Betriebes aufzuräumen und jeden
Gegenstand unserer Umgebung zu Gebrauch
und Schmuck den Gesetzen verfeinerter Ge-
staltung zu unterwerfen, zu greifbaren Ergeb-
nissen. Der Abscheu gegen die Geschmack-
losigkeiten und Sinnwidrigkeiten, mit denen das
Maschinenzeitalter unsere Häuser und Zimmer
vollgestopft hatte, ward, zunächst in den Kreisen
der jüngeren Künstlerschaft, allgemein. Mit
wachsender Erregung vernahm man von den
neuen Forderungen und Versuchen, die zuerst
in England, dann in Belgien aufgetaucht waren.
Mit wahrem Heißhunger stürzte man sich auf
die glückverheißenden Anregungen, die von dort
herüberströmten. Rings erhoben sich tausend
ungeahnte Aufgaben aus dem Boden, die nach
Lösung verlangten. Die Maler waren die ersten
auf dem Platze. Sie überschritten die engeren
Grenzen ihres Spezialressorts. Aber sie waren
von vornherein darauf bedacht, ihre Bemühungen
nicht in ästhetische Verblasenheit münden zu
lassen, sondern auf den festen Boden eines aus
neuem Geiste begriffenen Handwerks zu grün-
den. Frisches Leben sproß auf. Weniger zu-
rückhaltend als die Engländer, weniger abstrakt
als die Belgier, mit mehr Lust an ausdrucks-
vollen Farben, an derben, behäbigen Formen,
an phantasiereichem Spiel gingen die Deut-
schen daran, neue Muster für Schränke und
Stühle, für Ornamente und Beschläge, für Öfen
und Porzellanstücke und keramische Gefäße
aller Art, für Lampen und Kronen, für Polster-
stoffe und Goldschmuck, Tapeten und Tisch-
gerät, kurz für alles zu finden, was zu unserem
täglichen Leben und unseren festlichen Stunden
gehört. München namentlich, wo sich noch ein
Gefühl für das organische Zusammenwirken der
Künste erhalten hatte, ward für die Bewegung
wichtig. Dort trat Otto Eckmann auf, der unter
dem Einfluß der Japaner seine dekorativen
Farbenholzschnitte schuf und dann mit fliegen-
den Fahnen von der „freien" zur „angewand-
ten" Kunst überging, um gleich das ganze Ge-
biet zu durchstreifen. Dort stellte Berlepsch-
Valendas für Möbel, Hermann Obrist für die de-
korative Plastik und für Stickereien ungewohnte
Muster auf. Dort bildeten bald Richard Riemer-
schmid, Bernhard Pankok und Bruno Paul, alles
von Hause aus Maler, eine jüngere Gruppe von
Bedeutung. In Wien nahmen die Schüler Otto
Wagners die neuen Gedanken auf, an ihrer
Spitze Josef Hoffmann, Josef Olbrich, Josef
Urban und Koloman Moser. In Karlsruhe
ward Max Läuger der Begründer einer neuen

Keramik, wobei das Beispiel Skandinaviens
anfeuerte. In Berlin verstand es Melchior
Lechter die Glasmalerei zu verjüngen, experi-
mentierte Walter Leistikow mit Entwürfen zu
Tapeten und Teppichen, zu Möbelstücken und
Webereien, Die Tagespresse und die Zeit-
schriften wurden plötzlich, fast gleichzeitig, auf ■
die Bewegung aufmerksam. Und in Berlin ward ■
auch, wieder 1897, durch Keller und Reiner das
erste Magazin, Verkaufs- und Ausstellungshaus ■
für modernes Kunstgewerbe ins Leben gerufen,
das außerordentlichen Einfluß ausübte.

„Deutsche Kunst und Dekoration" — der ■
Name war vortrefflich gewählt. Er gab in knap-
per Formel eine Parole für die in zahllose Ein-
zelbemühungen gespaltene Reformbestrebung. ■
Daß sie in Darmstadt ausgegeben wurde, ward ■
von großer Bedeutung. Diese Tatsache hat ent-
scheidend dazu mitgewirkt, daß die hessische ■
Hauptstadt sich zu einem Zentrum der Zukunfts-
gedanken entwickelte. Als ein moderner Mäzen
großen Stiles erkannte der junge Großherzog
Ernst Ludwig die Zeichen der Zeit. Der
Herausgeber Alexander Koch kam seinen
Ideen entgegen und legte dem fürstlichen Kunst- ■
freund ein ausführliches Programm vor. Ein
weitausgreifender Plan wurde entworfen. Auf
der „Mathildenhöhe" sollte ein „Forum der
neuen deutschen Kunst" entstehen, in dessen £
Bezirk sich Malerei, Bildnerei und Architektur ■
mit allen dekorativen und handwerklichen Be-
tätigungen die Hand zum Bunde reichen sollten.
Der Großherzog rief von verschiedenen Seiten
junge Kräfte heran; Olbrich aus Wien, Hans
Christiansen, den Schleswiger, aus Paris, Peter
Behrens aus München waren die Führer. Das
Jahr 1901 brachte dann die erste Frucht dieses
Eifers: das „Dokument deutscher Kunst" —
die Probe aufs Exempel. Man hat es heute
leicht, über die Unzulänglichkeit des damals ■
Geleisteten zu lächeln. Gewiß, manches war
verfehlt, manches, das mit stolzen Worten an-
gekündigt war, blieb allzuweit hinter ihnen ■
zurück. Aber es wäre eine arge Ungerechtig-
keit und Undankbarkeit, wollte man die ehr-
liche und feurige Begeisterung, den heiligen ■
Idealismus und die außerordentliche Summe ■
an positivem Können unterschätzen, die da-
bei zu Tage traten. Die ganze Entwick-
lung der letzten zwanzig Jahre ist un-
denkbar ohne diesen kühnen Versuch,
der zum ersten Mal ein Gesamtbild des ■
neuenWerdens entwarf, ohne das anfeuernde
Beispiel, das damit gegeben wurde — ja selbst
ohne die Fehler, die dabei unterliefen, und von
denen man nun lernen konnte.
— Was damals dem jugendlichen, kühnen und 1
 
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